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In Nylon gegen den Strom

  • Jeanny
  • 29. Juli 2018
  • 3 Min. Lesezeit

Wunderbar sonniger Morgen, die Luft ist nach einem sehr schwülen Gestern über Nacht schön abgekühlt und ich geniesse die frühe Stille die immer herrscht, wenn ich als erste aus den Federn krieche. Ich bereite das Frühstück vor und nach und nach wacht meine Rasselbande auf und torkelt an den gedeckten Tisch.  

Es herrscht verschlafenes, aber gut gelauntes Treiben. Gemurmel über den Wasserplausch des Kindergartens am heutigen Vormittag, über den Opa der nochmal ins Spital muss und über den Schildkrötentraum von Elmo. Wenige Minuten später kippt die Stimmung plötzlich. „Mamaaaa, wo ist mein Badeanzug?!“ kreischt meine Berta halb hysterisch aus ihrem Zimmer. Bei unserem Umzug hatte ich die Gelegenheit genutzt, die Kleiderschränke auszumisten. Dabei war auch ihr längst zu klein gewordener Badeanzug meiner Sortierwut zum Opfer gefallen. Seither waren wir nicht dazu gekommen, einen neuen zu besorgen. Also hatte ich ihr am Vorabend ihre Sportsachen eingepackt für den heute anstehenden Wasserplausch. Die sind schliesslich aus Nylon, dünn, schnell trocknend und damit in meinen Augen durchaus wassertauglich. Meine Tochter allerdings sah das anders und war den Tränen nahe. Bei näherem Nachfragen stellte sich heraus, dass sie meine Sportkleiderlösung gar nicht so schlimm fand. Sie hatte lediglich Angst, ein bestimmter Junge in ihrer Gruppe würde sie auslachen. Als ich nicht locker liess kam heraus, dass es zuvor bereits des Öfteren zu Situationen gekommen war, in denen sie für ihre Kleidung diffamiert worden war. Weil sie nur „Turntäppeli“ statt Turnschuhe trug, weil ihre kurze Hose zu lang sei oder ähnliches. 

Nun ist mir ja wirklich nicht neu, dass Kinder überaus gemein sein können. Aber irgendwie hatte ich wohl gehofft, dass diese Gemeinheiten erst in der 3. oder 4. Klasse anfangen würden. Da stand ich also und versuchte meiner Tochter klar zu machen, dass es niemanden etwas angehe, was sie trage, und dass sie niemandem zu gefallen bräuchte ausser sich selbst. Schliesslich ging sie dann doch noch erhobenen Hauptes in den Kindergarten, aber ich blieb nachdenklich und voller Wut zurück. Aus eigener Erfahrung weiss ich leider nur zu gut, wie sie sich fühlen musste. Mir ging es früher in der Schule nicht anders. Weil ich enge Jeans trug als Schlaghosen „in“ waren, weil auf meinen Pullovern Bärchen prangten und keine Boybands, weil ich den Bauchfrei-Trend boykottierte und weil ich mich mit 12 noch nicht schminken durfte, schon gar nicht für die Schule. Ich war ein Aussenseiter, und mein Äusseres Erscheinungsbild war ein wesentlicher Bestandteil der Ursache. Anfangs war es schwer, aber ich tat mich mit anderen Aussenseitern zusammen und wir hatten dann unsere eigene kleine Clique. Fern ab vom Mainstream, von den aufgezwungenen Trends die die „Bravo“ propagierte, aber dafür mit einer eigenen Meinung. Wir schwammen gegen den Strom. Und wir machten mit der Zeit aus einer unbeabsichtigten Tatsache eine beabsichtigte Überzeugung: dass anders sein genau das war, was wir wollten. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Wenn ich meine Kinder zu Veranstaltungen von Kindergarten oder Schule begleite bin ich immer die Mutter, die abseits steht, während die anderen die Köpfe zusammenstecken und schnattern und kichern - genau wie damals auf dem Pausenhof. Vielleicht nicht mehr unbedingt wegen der Klamotten, sondern weil meine Kinder noch keine Handys haben, nicht in ihrer Freizeit in den Englischkurs müssen oder weil ich Pebbles meistens trage anstatt sie in einem stylischer Stokke Xplory V6 durch die Gegend zu schieben... Gründe gibt es sicher genug. Und es ist mir wurscht. Nein, es ist mir sogar recht. Aber ich bin erwachsen, meine Berta nicht. Sie ist ein Kind und sie möchte dazugehören. Trotzdem habe ich sie an diesem Morgen mit den Turnsachen zum Wasserplausch gebracht. Nicht, weil es mir egal war. Sondern weil sie selbst die Kleidung in Ordnung fand. Und wenn ich für meine Kinder eines wirklich unbedingt möchte, dann ist es dass sie lernen, sich nicht von anderen oder gar für andere zu verbiegen! Ich möchte dass sie glücklich wird.

Und ich meine nicht dieses vorgegaukelte Glück, das man zu tausenden auf Instagram oder in Facebookposts findet, wo unglückliche Menschen ihr Leben aufgehübscht der likenden Menge zur Schau stellen, um sich danach selbst auf die Schulter klopfen zu können, weil sie den gehobenen Daumen als Bestätigung dringend brauchen.

Ich meine echtes Glück. Das, das man nicht auszustellen braucht, weil es tief im Herzen wohnt und keine Likes braucht.  

 
 
 

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