Es fühlte sich falsch an. Schon immer.
- Jeanny Babenco
- 8. Jan. 2014
- 3 Min. Lesezeit
Dieser Text bezieht sich auf einen Artikel in “Die Welt” vom 7.10.2013
Es ist noch gar nicht allzu lange her, da stand ich in jenen im Artikel beschriebenen Ab-schiedssituationen auf der anderen Seite des Fenster. Ich war diejenige, die das Kind in Empfang nahm, die Mutter bat zügig wieder zu gehen. Das schreiende und weinende Kind, das sich gegen mich wehrte, im Arm. Ich war Praktikantin und mitten in der Ausbildung. Man hatte mich auf diese Situation vorbereitet, und ich hatte sie schon oft miterlebt. Ich war dennoch vollkommen machtlos gegen diesen Trennungsschmerz. Auch hatte ich keine eigenen Kinder und konnte das Leid der Mütter nicht wirklich nach-empfinden. Aber: Ein gutes Gefühl hatte ich nie dabei. Irgendwie fühlte es sich falsch an. Schon immer.

Winken am Abschiedsfenster
Ich gab also mein Bestes diese Kinder mit aller Geduld und Zuwendung von ihrem Tren-nungsschmerz abzulenken, versuchte, ihnen so viel Aufmerksamkeit und Liebe (wenn man in diesem beruflichen Zusammenhang überhaupt von Liebe sprechen kann) zu geben, wie ich aufbringen konnte. Die meisten Kinder beruhigten sich auch und nach einer "Eingewöhnungs-phase" schienen die morgendlichen Trennungen nicht mehr so dramatisch zu sein. Aber glücklich habe ich ein Kind noch nie erlebt, wenn es Mama oder Papa am "Abschiedsfenster" nochmal zuwinkte, bevor sie oder er für den Rest des Tages aus dem Leben des Kindes verschwand.
Inzwischen hat sich vieles geändert und ich bin selbst Mutter von 2 Kindern. Und ich bin wirklich froh jetzt nicht auf der anderen Seite des Fensters stehen zu müssen. Mein Kind nicht einer unerfahrenen Praktikantin - und sei sie noch so lieb und bemüht - in die Hände drücken zu müssen.
“Senn siä au scho fliessig?”
Dass die Situation hier in der Schweiz eine ganz andere sei als in Deutschland wage ich zu bezweifeln. Immerhin werden auch hier etwa ein Drittel aller Kinder unter 3 Jahren fremdbetreut. Sicherlich ist es hier noch eher möglich eine Familie mit nur einem Einkommen durchzubringen. Wenn auch mit sehr grossen Einbussen den Lebensstandart betreffend. Wenn man sich zum Wohle der Kinder dennoch dafür entscheidet, den Job sausen zu lassen hat man aber mit noch anderen Dingen zu kämpfen, als den besagten Einbussen.
Ich erlebe es jeden Tag. Wenn ich mit meinem Sohn auf dem Rücken und meiner Tochter an der Hand durchs Treppenhaus gehe und die Nachbarin zynisch grüsst "Guätä Morgä, senn siä au scho fliessig zu so früä Stund?" - Guten Morgen, sind sie auch schon fleissig zu so früher Stunde? (es war halb 10 am Vormittag und die Kinder bereits seit halb 6 wach). Oder wenn ich zum zweiten Mal am gleichen Tag der Hauswartin begegne, mit Einkaufs-taschen in der Hand und sie meine Tochter fragt "Na, hätts scho widr neuä Schuäh gäh? So guät hätt iis au gärn ämol, go poschde drü mol am Dag, un de Papi schaffd und schaffd und chumt erschd wenns dunkl wird widr hei, dä armi Papi!" - Na, hatts schon wieder neue Schuhe gegeben? So gut hätt ichs auch gern mal, einkaufen gehen drei mal am Tag und der Papi arbeitet und kommt erst wieder heim wenns dunkel wird, der arme Papi.
Verzwickte Lage
Klar, das sind Sätze die einem zum einen Ohr rein und zum anderen wieder rausgehen sollten. Dennoch zeigen sie deutlich die allgemeine Einstellung gegenüber Müttern, die zu Hause bleiben: Sie gelten als faul und dümmlich, sie werden abgestempelt als Schmarotzer, die ihre Männer ausbeuten. Es ist manchmal schwer dabei kein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Die Lage ist also für Mütter immer irgendwie verzwickt: Wie man sich auch entscheidet, für oder gegen den Job, in den Augen unserer "modernen Gesellschaft" ist es immer falsch. Ich würde mir sehr wünschen, dass auch hierzulande mehr Mütter den Mut aufbrächten, we-nigstens die ersten Jahre bei ihren Kindern zu bleiben. Dass die Anerkennung für diesen Job steigt und damit vielleicht auch die finanzielle Rahmen sich ändert.
Damit mehr Mütter in der Lage sind, ihrem schlechten Gewissen nachzugeben und dem Ruf des Kindes "Meine Mama, geh nicht weg" nachzukommen.
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